Nach Türkei-Referendum: Bürgermeister Landscheidt fordert DITIB-Gemeinde in Kamp-Lintfort zum Dialog auf

21.04.2017

„Kann ich in unserer Partnerstadt Edremit noch meine Meinung sagen, ohne eingesperrt zu werden?“

Wie in jedem Jahr feiert die DITIB-Türkisch-islamische Gemeinde an der Kattenstraße ihr dreitägiges interreligiöses Kultur- und Familienfest mit der traditionellen Blutspendeaktion. Auch dieses Mal hält Bürgermeister Prof. Dr. Christoph Landscheidt die Eröffnungsrede zum Fest. In diesem Jahr stand seine Rede unter dem Eindruck des Referendums vom vergangenen Wochenende.

In seiner Rede hob Landscheidt das jahrzehntelange gute Miteinander der türkisch-stämmigen und deutschen Bevölkerung in Kamp-Lintfort hervor, das über viele Jahre durch das gemeinsame Arbeitsleben im Bergbau und die vielfältigen gemeinsamen Aktivitäten geprägt gewesen sei. Aber auch wenn inzwischen die Kinder und Kindeskinder seit Jahren und Jahrzehnten gemeinsam in die Kindergärten und Schulen gingen und sich die meisten türkisch-stämmigen Familien in Kamp-Lintfort wohl und „zuhause“ fühlten, so Landscheidt, sei offenkundig, dass viele dennoch nicht ihre Wurzeln, nicht die Wurzeln ihrer Eltern und Großeltern, und auch nicht die ihrer Kinder und Kindeskinder in Kamp-Lintfort und in Deutschland fänden, sondern weiterhin in der Türkei. Deshalb sei auch die Türkei ihre Heimat, auf deren reiche Kultur und Tradition sie zu Recht stolz sein könnten. Dafür könne man durchaus Verständnis haben, auch wenn er sich wünschen würde, dass diejenigen, die hier groß geworden sind, auch hier ihren Lebensmittelpunkt sehen würden und zu hundert Prozent für ihre deutsche Heimat einstehen und ihre freiheitlich-demokratische Werte aktiv verteidigen würden!

Die Stadt Kamp-Lintfort habe sich in Anerkennung und Würdigung der deutsch-türkischen Beziehungen bewusst für eine Partnerschaft mit einer Stadt in der Türkei entschieden: mit der wunderschönen Stadt Edremit an der türkischen Ägäis. Dies sei Ausdruck von Wertschätzung und tiefer Verbundenheit zwischen Deutschen und Türken, die man aktiv lebe und auch in Zukunft leben wolle. „Wir sind sehr glücklich darüber, dass wir inzwischen eine enge und von Vertrauen geprägte Freundschaft zu unseren Partnerinnen und Partnern in Edremit pflegen.“

Kein Verständnis aber zeigte Landscheidt dafür, dass mit dem Referendum „unsere Werte, insbesondere Freiheit und Demokratie, die wir hier gemeinsam leben, für die wir Respekt einfordern und auf die wir ebenfalls stolz sind“, gleichsam mit Füßen getreten würden. Über die möglichen Konsequenzen des Referendums sei er sehr beunruhigt.

Landscheidt sagte weiter: „Auch wenn 65,90 Prozent unserer Freundinnen und Freunde in Edremit mit „Nein“ gestimmt haben – anders als Rhein und Ruhr – darf ich bei meinem nächsten Besuch noch sagen,

· dass ich gegen die Politik von Präsident Erdogan bin?

· dass ich für Demokratie, Freiheit, auch Glaubensfreiheit und Gleichbehandlung von Mann und Frau bin? 

· dass ich die Todesstrafe für ein Verbrechen halte? 

· dass es aus meiner Sicht ein Zeichen von Schwäche des Präsidenten ist, wenn er Tausende seiner politischen Gegner ohne Gerichtsverfahren einfach einsperrt? 

Oder muss ich damit rechnen, dann auch eingesperrt und als Terrorist verdächtigt zu werden? Haben diejenigen unter Ihnen, die hier im freiheitlich-demokratischen Deutschland für ein autokratisches Präsidialsystem in der Türkei gestimmt haben, das gewollt?“ Über all diese Dinge müsse man auch hier in Deutschland, in Kamp-Lintfort, unbedingt reden. Es dürfe nicht sein, dass dieser Konflikt und unterschiedliche politische Auffassungen darüber das Miteinander belaste oder das Schweigen darüber das gegenseitige Misstrauen nähre. 

Abschießend lud der Bürgermeister die Gemeindemitglieder zu einem offenen und kritischen Dialog darüber ein, wie man auch in Zukunft trotz vielleicht unterschiedlicher politischer und religiöser Ansichten wie bisher gemeinsam und friedlich miteinander in Kamp-Lintfort leben könne.